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Einführungsrede

Ulrich Otto, Farbräume – Farbklänge,  30.10.2014, 

von Gerold Hartmann, Darmstadt, auszugsweise

 

 

Ulrich Otto war in seinem „ersten Leben“, wie er selbst den Lebensabschnitt seiner beruflichen Tätigkeit nennt, Bauingenieur. Als solcher, so möchte man denken, sei er in seinem Bestreben der Ordnung der Welt und ihren rationalen Prinzipien verpflichtet, emotionslos den physikalischen Gesetzen der Statik und Dynamik dienend. Als Begründer eines Ingenieurbüros widmete er sich Aufgabenstellungen aus den Bereichen der Bau- und Umwelttechnik, bis zuletzt in leitender Funktion.

 

Angesichts des heute in Hemsbach zu sehenden künstlerischen Schaffens verstehen wir allerdings, dass es allerdings von Anfang an auch einen zweiten, einen kreativen Aspekt in der Persönlichkeit von Ulrich Otto gab. .........

 

Zweifelsfrei, das sehen wir hier im Rathaus in Hemsbach auf den ersten Blick, ist Ulrich Otto ein Maler der Moderne. Nur in wenigen seiner hier gezeigten 21 Arbeiten, nämlich der Bilderserie vom Bodensee, bietet er uns als Betrachtern Hinweise auf Gegenständliches. Damit folgt er der historischen Funktion von Malerei, nämlich der Wiedergabe von Realität, der Herstellung eines Abbildes von Gegenständen oder Figuren. Mit diesen Bildern, teilweise vor Ort entstanden, kommen wir gut zurecht,  selbst wenn Farben und Formen verfremdet sind und Konturen verwischen.  Mit unseren Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten können wir „verstehen“ was zu sehen ist, und wir können nachempfinden, welche Stimmung im Bild eingefangen und ausgedrückt wird. Da gibt es Formen und Farben, die noch Bekanntem – Booten, Wasser, Ufer, Horizont, Steg, Hafen, Wetter, Regen – zugeordnet werden können, auch wenn wir bereits mit unterlegten und überblendenden Elementen der Abstraktion konfrontiert sind. Lineare, flächige Bildelemente treten als kompositorische Eingriffe deutlich in den Vordergrund und relativieren die Gegenständlichkeit der Darstellung. Der künstlerischen Fertigkeit des Malers folgend erleben wir allerdings die Variationen von Blau, Lila und Schwarz intensiv nach und verbinden die angesprochene Situation mit eigenem Erleben. „Herbstblues“ nennt Ulrich Otto die Serien von Skizzen und Bildern sehr farb- und stimmungsbedeutend. Ja, das kennen wir, diese triste Stimmung am Seeufer, die uns mit Schaudern und melancholischen Gedanken erfüllt und uns nach einer wohlig-warmen, trockenen Ecke in einem Café oder in der Ferienwohnung streben lässt, bei einer wärmenden Tasse Tee und einem guten Buch verweilend.

 

Nehmen wir die Bodensee-Serie als Brücke von der Gegenständlichkeit zur Abstraktion. Der Gedanke erinnert an Kandinsky, der die Kirche von Murnau so oft wiedergab, bis nur noch die Konturen von Turm und Kirchendach in Form eines „M“ auf seinen Bildern zu erkennen war. Dorthin, zur „reinen“ Abstraktion, führt uns Ulrich Otto mit seinen weiteren Arbeiten, im Zeitraum von 2009 bis 2014 erschaffen. Dabei nennt er den amerikanischen „abstrakten Expressionismus“ als Quelle der Inspiration, eine epochale Kunstrichtung, die mit  bekanntesten Namen der Moderne wie Jackson Pollock und Mark Rothko verbunden sind. Ein mutiger und offenkundig völlig gerechtfertigter Bezug angesichts der Kunstfertigkeit, die wir in Ulrich Ottos Bildern erkennen.

 

In diesem Kontext zeigt uns Ulrich Otto äußerst bemerkenswerte, eloquente und ureigene Beiträge zur „Weltsprache Abstraktion“, die von uns als Betrachter neue Sicht- und Sehweisen verlangen. Wir sind nicht gefragt, aus einem Bild herauszulesen, was uns der Künstler sagen will. Wir sind aufgefordert, uns hineinzudenken, Wirkungen nachzuempfinden und eigene Vorstellungskraft über die Entstehung des Farben- und Formenspiels  der jeweiligen Bildkomposition zu entfalten.

 

Können wir die Spannungsbögen der Komposition erfassen? Spannung entsteht durch Gegensätze von Linie und Fläche, von Hell und Dunkel, von Fläche und Struktur, von Geometrie und Organik, zwischen Vorder- und Hintergrund, Bedeutung und Nebensache. Rote Feuerstürme signalisieren magmatische Eruptionen vor dem Hintergrund einer ruhenden blauen Lagune. Zitronengelbe Blitze, kristalline Pfeile dringen wie Licht durch die Lücken eines grün- blau-grauen Vorhangs. Leonard Cohen, der kanadisch-jüdische Musikpoet fällt mir ein: „There is a crack, a crack in everything. That’s where the light get’s in.“ Es gibt einen Riss, einen Riss in allen Dingen. Da kommt das Licht herein.

 

Zum Einsatz kommen dabei unterschiedlichste Techniken und Materialien, mit Pigmenten angemischte Farben, Pinsel, Rollen, Siebe, Schwämme und Lappen, Sand . . . Nie ist ein Bild im Kopf entworfen und wird dem Gedanken entsprechend ausgeführt, sondern jedes Bild durchläuft einen Schaffensprozess mit mehrfachen Neubeginnen und Überarbeitungen, so dass ein Schichtenbild entsteht, historisch geformte Auflagen, manchmal mehr als zehn. „Wann ist ein Bild fertig?“, wird der Künstler gefragt. „Wenn es gut ist“, so die Antwort. Übersetzt: Wenn die Auseinandersetzung mit der Leinwand abgeschlossen, die Komposition in Spannung und Balance durchgearbeitet ist und aus sich selbst keine Veränderung verlangt.

 

"Ein Bild lebt in Gemeinschaft, indem es sich in den Augen des einfühlsamen Betrachters entfaltet und dadurch in ihm auflebt. Es stirbt, wenn diese Gemeinschaft fehlt. Deshalb ist es ein gewagtes und gefühlloses Unterfangen, ein Bild in die Welt zu entsenden" (Mark Rothko, 1947).

Das künstlerische Wagnis liegt darin, auf das Entstehen der Gemeinschaft von Erschaffen und Betrachten zu setzen. Ihn nicht zu enttäuschen ist unsere Aufgabe als Betrachtende.        ............

 

Die Stadt Hemsbach mit ihrem Herrn Bürgermeister und der gesamten kunstinteressierten Bevölkerung ist sicher zu dieser hochwertigen Kunstausstellung in ihrer Schlossgalerie zu beglückwünschen. Ulrich Otto gebührt Respekt und Anerkennung für sein künstlerisches Schaffen, wovon er hier erneut Zeugnis ablegt. Dieser Ausstellung, wie auch seinem weiteren Wirken wünsche ich Erfolg, Anerkennung und Erfüllung. Möge die Übung gelingen. Die Ausstellung ist eröffnet.

 

Gerold Hartmann

 

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